Jörg W. Ziegenspeck (geb. 1941 in Königsberg / Pr.) wuchs nach der Flucht über Mecklen burg (Neustrelitz) und Schleswig-Holstein (Lübeck) in Hessen (Kassel) auf, wo er 1960 vom Gymnasium(„Albert-Schweitzer-Schule“) mit der Mittleren Reife abging.
Nach einer zwei-jährig-verkürzten Tischlerlehre (1960 1962) und mit dem Gesellenbrief in der Tasche konnte er die Höhere Fachschule für Sozialarbeit in Kassel besuchen (1963 1965) und als Sozialarbeiter (grad.) das Studium abschließen.
Diese Einrichtung der Ev. Landeskirche von Kurhessen-Waldeck wurde einige Jahre später bei der Gründung der Universität / GesamthochschuleKassel (1971) in den Fachbereich Sozialwesen integriert. Es folgte das einjährige Berufspraktikum als Jugendsozialarbeiter im Jugendamt der Hansestadt Lübeck mit wichtigen Einbli cken in die Jugendgerichtshilfe. Parallel besuchte Jörg W. Ziegenspeck das neu eingerichtete Abendgymnasium an der „Oberschule zum Dom“ (OZD) der Hansestadt. Als er 1966 die Be gabtensonderprüfung an der Pädagogischen Hochschule (PH) Lüneburg, zu der er von Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Mitter (dem späteren Direktor des „Deutschen Instituts für Internatio nale Pädagogische Forschung“ (DIPF) in Frankfurt a.M.) ermutigt und veranlasst wurde, be stand, begann er mit dem Lehrer-Studium, das er 1969 erfolgreich abschloss (I. Lehrerprü fung). Seine Zeit als Lehrer z.A. (heute dem Referendariat vergleichbar) absolvierte er als Klassenlehrer an der „Pestalozzi-Schule“ in Gifhorn, einer Sonderschule für Lernbehinderte, wo er 1971 seine II. Lehrerprüfung ablegte und damit Beamter auf Lebenszeit wurde. Die Realschullehrerprüfung bestand er ebenfalls im Jahre 1971.
In Gifhorn war er gleichzeitig ehrenamtlich als 2. Vorsitzender der Lebenshilfe-Einrichtung tätig, der damals drittgrößten Einrichtung dieser Art in Niedersachsen. Berufsbegleitend studierte er an der Technischen Universität Braunschweig (TU) Pädagogik, Psychologie, Anthropologie und Philosophie. Der damalige Direktor des Pädagogischen Instituts der TU, Prof. Dr. Karl-Josef Klauer, betreute seine Diplom-Arbeit in Erziehungswissenschaft, die 1972 abgeschlossen wurde und 1973 in erweiterter Fassung im Hermann Schroedel Verlag (Hannover) publiziert wurde; das Buch erlebte bis 1981 vier Auflagen und galt lange Zeit als Standardwerk zum Thema „Zensur und Zeugnis in der Schule“.
Auf Veranlassung seines Lüneburger Hochschullehrers, Prof. Dr. Karl Sauer, bewarb sich Jörg W. Ziegenspeck 1972 um die Stelle eines Pädagogischen Assis tenten an der Pädagogischen Hochschule Niedersachsen (PHN) Abt. Lüneburg, zu der er dann als Lehrer abgeordnet wurde. Er lehrte im Fach Psychologie und wurde dort später Wis senschaftlicher Assistent bei Prof. Dr. Gerhard Pause. Als solcher gründete er 1972 die „Ar beitsgruppe Orientierungsstufe“, die unter seiner Leitung mit verschiedenen wissenschaftli chen Begleituntersuchungen des Niedersächsischen Kultusministeriums (MK) und der „Bund Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung“ (BLK) beauftragt wur de.
Die Forschungsbefunde, die damals im Rahmen des breit angelegten BLK-Forschungs projekts „Empirische Untersuchungen zur Übergangsproblematik unter besonderer Berück sichtigung der Orientierungsstufe“ in verschiedenen Zeitschriften und Büchern veröffentlicht worden waren, bildeten die Grundlage für die Dissertation, die Jörg W. Ziegenspeck 1977 an der Universität Bremen erfolgreich verteidigte (die Gutachter waren Prof. Dr. Job-Günter Klink, Prof. Dr. Leo Roth und Prof. Dr. Karl Sauer).
Drei Jahre später wurde er auf der Grundlage weiterer publizierter Forschungsarbeiten an der „Gesamthochschule Kassel Uni versität des Landes Hessen“ (GhK) im Fachbereich I: Erziehungswissenschaft Humanwis senschaften habilitiert (die Betreuer waren der damalige Dekan, Prof. Dr. Hans Rauschenber ger, und die beiden Professoren Dr. Klaus Heipcke und Dr. Gerwin Schefer. Jörg W. Ziegenspeck wurde auch im fortgeschritten Alter nicht müde, seine wissenschaftliche Neugier zu befriedigen. So absolvierte er 2012 / 2013 zwei Zertifikatsstudiengänge, mit denen er am „Baltic College University of Applied Sciences“ (Schwerin) in Kooperation mit der2 „Campus-Akademie“ (Lübeck) den Grad eines Betriebspsychologen (FH) und später an der „Staatlich anerkannten, privaten Fachhochschule des Mittelstands“ (FHM) in Bielefeld den Grad eines Wirtschaftspsychologen (FH) erwarb.
Nach einem dritten Zertifikatsstudiengang an der FHM bekam er schließlich den akademischen Grad eines Kommunikationspsycholo gen (FH) zugesprochen. Im Rahmen eines differenzierten, mehrphasigen Überleitungsverfahrens wurde Jörg W. Zie genspeck 1982 zum Univ.-Professor im Fach Psychologie an der „Hochschule Lüne burg“ (seit 1978), der späteren „Universität Lüneburg“ (seit 1988), ernannt. Er war damals der erste Angehörige des akademischen Mittelbaus, der im Rahmen dieses qualitativ rigiden und strengen Verfahrens in Lüneburg zum ordentlichen Professor berufen wurde. Von 1982 bis 1996 nahm er diese Aufgaben als Lehrstuhlinhaber wahr, wobei er während der letzten Jahre als einziger Professor der Psychologie für Studium, Lehre und Forschung in den erziehungs wissenschaftlichen Studiengängen und für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des akademi schen Mittelbaus Verantwortung trug.
Während dieser Zeit sammelte er wichtige Erfahrungen in der Hochschulselbstverwaltung. An der Entwicklung und dem Aufbau des Fachbereichs III: Kulturwissenschaften war er in der Anfangsphase maßgeblich beteiligt. Er wurde zusätz lich zu den bereits bestehenden Organisationseinheiten der Universität – FB I Erziehungswis senschaften und FB II Wirtschafts und Sozialwissenschaften – eingerichtet. 1996 wechselte er als Hochschullehrer in das Fach Erziehungswissenschaft der Universität Lüneburg, die 2003 eine Stiftung des Öffentlichen Rechts wurde. Hier konnte er insbesondere seine wissenschaftlichen Arbeiten zur Erlebnispädagogik forciert betreiben. Seine Professur erhielt 2004 folgerichtig die Denomination „Erziehungswissenschaft und Erlebnispädagogik“.
Damit wurde gleichzeitig die wissenschaftliche Pionierleistung anerkannt und die Erlebnispäd agogik, die von ihm als jüngste Teildisziplin der Erziehungswissenschaft in der Bundesrepub lik Deutschland begründet wurde, bestätigt. Später war es keine Geringere als die Herausge berin der Wochenzeitung „DIE ZEIT“ (Hamburg), Dr. Marion Gräfin Dönhoff, die öffentlich erklärte, dass der Lüneburger Hochschullehrer als „Vater der modernen Erlebnispädago gik“ anzusehen sei.
Der Lüneburger Hochschullehrer war langjähriges Mitglied u.a. der „Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft‘ (DGfE), der „Gesellschaft zur Förderung Pädagogischer For schung e.V.“ (GFPF), des „Weltbundes für Erneuerung der Erziehung e.V.“ (Deutsche Sekti on), der „Deutschen Janusz-Korczak-Gesellschaft e.V.“; er war Mitglied der Bildungspoliti schen Kommission beim Parteivorstand der „Sozialdemokratischen Partei Deutsch lands“ (SPD) und wissenschaftlicher Berater sowohl des Bundesvorstands der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) als auch des Landesvorstands in Niedersachsen, außer dem gehörte er der „Gemeinnützigen Gesellschaft Gesamtschule“ (GGG) an.
Im Rahmen der Niedersächsischen Lehrerbildung gründete er zahlreiche Arbeits und Forschungsgruppen (bei spielsweise „Studiengruppe Sonderpädagogik“, „AG Alternativen zur Geschlossenen Unter bringung im Jugendhilfebereich“, „AG Segeln Pädagogik Therapie“). Die Lehr und Forschungstätigkeit von Jörg W. Ziegenspeck erstreckt sich auf zwei große Gebiete, die sowohl für die Lehrerbildung als auch für die Dipl.-Pädagogenausbildung beson ders relevant sind: Pädagogische Psychologie und Erziehungswissenschaft.
Hier konnte er verschiedene Schwerpunkte bilden. Im Bereich der Psychologie waren es u.a. Fragen der För derung und Auslese, der Pädagogischen Diagnostik, der Leistungsmessung und -differen zierung, der Alternativen zu Zensuren und Zeugnissen in der Schule (z.B. Schülerbeobachtungsbögen, Direkte Leistungsvorlagen / Portfolios). In Erziehungswissenschaft waren es u.a.3 Fragen der Unterrichtsorganisation, des Schulaufbaus, der Schulreform unter besonderer Berücksichtigung der Verlängerung des gemeinsamen Unterrichts über die Primarstufe hinaus (Orientierungsstufe). Aber immer häufiger wurden auch sozialpädagogische und -therapeu tische Aspekte erziehungswissenschaftlich integriert (z.B. Dissozialität, Gewalt, Heimerzie hung, soziale Randgruppenprobleme, Möglichkeiten der Prävention). Insbesondere wurden die erlebnispädagogischen Gehalte innovativer Erziehungsangebote unterstrichen, nachdem die sem Bereich durch die Studienordnungen der Diplom-Studiengänge besondere Aufmerksam keit geschenkt wurde (modularisierte Fächerstruktur). Dem historischen „Wurzelwerk“ der Pädagogik wird – nach wie vor – zentrale Aufmerksamkeit geschenkt, sind es doch gerade jene erzieherischen Strömungen, die in der Reformpädagogik ihren Ausgang nahmen und bis heute wirksam sind (z.B. Projektmethode, ganzheitliche Ansätze, Sozial und Gruppenpädago gik, Persönlichkeitsbildung, Integration).
Besondere Aufmerksamkeit widmete der Lüneburger Hochschullehrer dem Auf und Ausbau internationaler Beziehungen auf Universitätsebene. So regte er die Lüneburger Hochschul Partnerschaften mit den Universitäten in Prag (CZ), Ljubljana (SLO). Klagenfurt (A), Cáceres (E) und Kaliningrad (RUS) an. Auch die Tatsache, dass Jörg W. Ziegenspeck zwei weitere Dissertationen erfolgreich verteidigte – an der Karls-Universität zu Prag / CZ (2001) wurde er zum PhDr. und an der „Immanuel-Kant-Universität“, der staatlichen Universität Kaliningrad / RUS (2003) zum KPN (Kandidat pedagogitscheskich nauk / Kandidat der Pädagogischen Wissenschaften) promoviert –, belegt einerseits die wissenschaftliche Dynamik, die ihn stets ausgezeichnet hat, andererseits seine nachhaltigen Bemühungen, den internationalen Gedan kenaustausch „auf gleicher Augenhöhe“ zu intensivieren.
Insofern hat sich der Lüneburger Hochschullehrer immer auch als Leistungsträger und Modell für seine zahlreichen Studieren den verstanden und angeboten.
Was seine formale Qualifikation anbelangt, so besitzt Jörg W. Ziegenspeck nicht nur selbst alle Ausbildungsgrade, die im FB I der Universität in den Disziplinen Erziehungswissenschaft und Sozialpädagogik zu erlangen sind, sondern gilt mit seinen nationalen Zusatzqualifikationen und den beiden internationalen Promotionen auch – jedenfalls was den kollegialen Vergleich in Lüneburg anbelangt – als wissenschaftlich her ausragend ausgewiesen.
Im Rahmen seines internationalen Interesses lagen auch diverse Tagungen und Seminare, die er konzipierte, anregte, im In und Ausland durchführte und z.T. leitete bzw. begleitete (z.B. in Spanien, Slowenien, Tschechien, Österreich, Holland, Dänemark, Frankreich, England, Russland, Süd-Korea und in der Schweiz). Neben der Arbeit als Hochschullehrer war Jörg W. Ziegenspeck auch als langjähriger Vorsit zender eines sehr lebendigen und innovativen Vereins tätig, dem Verein „Jugendschoner ‚HERMINE’ e.V.“ (Lüneburg), der vom Niedersächsischen Kultusminister als freier Träger der Jugendhilfe auf Landesebene und vom Finanzamt als gemeinnützig anerkannt worden war.
Der Verein war 1981 gegründet worden und hatte es sich zunächst zur Aufgabe gemacht, den letzten hölzernen Gaffelschoner deutscher Bootsbaukunst zu retten, der in den Schären vor Stockholm in jämmerlichem Zustand gefunden worden und einstmals (1904) als stolze „HERMINE“ in Finkenwerder vom Stapel gelaufen war. Zwar konnte der Rumpf nach Deutschland zurückgeholt werden, aber für den Wiederaufbau reichten damals die Spenden mittel leider nicht aus.
Es gelang Jörg W. Ziegenspeck aber, das Schiff nach Cuxhaven zu bringen, wo es seither und nach seiner aufwändigen Restaurierung als Denkmal der Küsten schifffahrt in einem Innenstadtpark einen würdigen Ort gefunden hat. Das pädagogische Ziel konnte also mit dem Schiff zwar nicht erreicht werden, aber dafür wurde ein nicht weniger bedeutsamer kulturell-museale und historisch relevanter Zweck erfüllt.4 Später trat Jörg W. Ziegenspeck noch einmal als „Retter“ eines wertvollen Objekts hervor: Auf der „Internationalen Gartenbauausstellung“ (IGA) in Rostock (2003) hatten seine Frau und er auch den „Arabischen Garten“ besucht, in dessen Zentrum eine vertikal durchtrennte Pyramide aus blauem Glas ihre Doppelspitze in den Himmel ragen ließ – ein persönliches Geschenk des damals hochbetagten Staatsoberhauptes der Arabischen Emirate, Shaikh Zayed bin Sultan Nhyan aus Abu Dhabi. Auf die Frage, was mit der Pyramide nach der Bundesgar tenschau geschehen würde, schüttelte man die Schultern. Jörg W. Ziegenspeck ließ nicht lo cker und bekam schließlich zum Sekretariat des Shaiks Kontakt, bei dem er sein Interesse anmeldete. Zunächst dachte er daran, die Pyramiden beim Haupteingang zur Lüneburger Uni versität als attraktiven „Hingucker“ und optischen Kontrast zur ansonsten rechtwinkligen und eher öden Kasernenarchitektur aufstellen zu lassen.
Aber die Bedenkenträgerinnen und -träger in der damaligen Universitätsverwaltung waren von einem solchen Geschenk nicht zu begeis tern, fürchteten Folgekosten oder gar Vandalismus. Die Hochschule verpasste damit auch eine große Chance, den deutsch-arabischen Dialog zu suchen und möglicherweise mit den Emira ten auch potente Partner für die Hochschulentwicklung in Lüneburg zu finden. So nahm der Lüneburger Hochschullehrer – nolens volens – zum Botanischen Garten der Universität Hamburg Kontakt auf. Dort traf er auf großes Interesse. Die blaue Pyramide ist seit 2005 in Klein Flottbek ein attraktiver Anziehungs und Treffpunkt für die Besucherinnen und Besu cher des weitläufigen Geländes. Vorgängerin des Vereins „Jugendschoner ‚HERMINE’ e.V.“ war die an der Hochschule ge gründete „Arbeitsgemeinschaft Segeln Pädagogik Therapie“.
Und so war es nicht verwun derlich, dass auch der Verein sehr eng mit der Universität verbunden blieb. Jörg W. Ziegen speck verstand es in Personalunion als Hochschullehrer der Universität und Vorsitzender des Vereins, die praktischen Aktivitäten, für die der Verein den organisatorischen Rahmen bot, mit den wissenschaftlichen ausbildungsrelevant zu verbinden. So konnten unzählige Studie rende Einblick in eine erlebnisorientierte, innovative, alternative und moderne Sozialtherapie und Pädagogik bekommen. Der Verein verfügte zeitweise über einen stäbigen Gaffelschoner, den Colin Archer ‚JOHANNES GEORGI’, den Jugendwanderkutter ‚KURT HAHN’, vier offene Kieljollen, 20 Kajaks und zwei kleine Motor-Begleit und -Sicherungsboote (‚A.S. MAKARENKO’ und ‚JANUSZ KORCZAK’).
Mehrere Jahre lang unterhielt der Verein auch eine Landstation in Dänemark (Kadeby Has / Insel Langeland), von wo aus viele Exkursionen mit Jugendlichen in die sog. „Dänische Südsee“ mit ihren z.T. unbewohnten kleinen Inseln unternommen und mehrfach Sommer-Camps durchgeführt wurden. Der Verein „Jugendschoner ‚HERMINE’ e.V.“ war auch unter der Leitung von Jörg W. Zie genspeck Trägerverein, als der Dreimast-Toppsegelschoner ‚THOR HEYERDAHL’ (Kiel) nach dreijähriger Restaurierung als Jugendschiff Fahrt aufnahm. An Bord wurden pädagogi sche Programme, die Jörg W. Ziegenspeck entwickelt hatte, realisiert, die sich an dem re formpädagogischen Konzept der deutschen Kurzschulen und ihres Begründers Kurt Hahn (1886 1974) orientierten.
Dieser internationale Schulgründer (u.a. der „Schule Schloss Sa lem“ am Bodensee, der weltweit verbreiteten „United World Colleges“, des Internats „Gor denstoun“ in England) hatte auch unter der Bezeichnung „Outward Bound“ ein internationa les Netz von sog. Short Terme Schools („Kurzschulen“) begründet, in denen Jugendliche mit naturnahen Programmen herausgefordert werden. Der Lüneburger Hochschullehrer trat in den deutschen Trägerverein der beiden Bergschulen (Berchtesgaden und Baad / Klein Walsertal), der „Deutschen Gesellschaft für Europäische Erziehung e.V.“ (DGfEE), mit der Absicht ein, mit dem Dreimast-Toppsegelschoner ’THOR HEYERDAHL’ an der Tradition der ersten deutschen Kurzschule in Weißenhaus (Ostsee) anzuknüpfen, die von 1952 bis 1975 bestand5 und aus Kostengründen geschlossen werden musste. Die ersten Programme auf diesem gro ßen Segelschiff fanden dann auch unter der Bezeichnung „Outward Bound in Norddeutsch land“ statt.
Da sich der in Süddeutschland beheimatete Vorstand der DGfEE nicht in der Lage sah, die Risiken einer Jugendarbeit unter Segeln realistisch einzuschätzen, distanzierte man sich von den norddeutschen Initiatoren und verbot ihnen, den Begriff „Outward Bound“ zur Charakterisierung der pädagogischen Programme zu verwenden. Jörg W. Ziegenspeck gelang es aber nach mühseligen, langwierigen und kostenintensiven juristischer Auseinandersetzungen letztlich, den pädagogischen Begriff durch ein Urteil des Bundespatentgerichts (1991) aus der Warenzeichenrolle zu löschen und damit aus der beabsichtigten urheberrechtlichen Verein nahmung durch die DGfEE zu befreien. Seither steht der Begriff allen wieder offen, die im Sinne des Reformpädagogen Kurt Hahn vergleichbare erlebnispädagogische Programme durchführen bzw. durchführen wollen. Später konnten die Kieler Initiatoren die Programme in eigener Regie und Verantwortung fortsetzen und darüber hinaus unter der Bezeichnung „High Seas High School“ auch Lang zeitreisen für Schülerinnen und Schüler deutscher Landerziehungsheime realisieren. Hier pro filierte sich insbesondere die „Hermann-Lietz-Schule“ auf der Nordseeinsel Juist unter der Leitung von Dr. Hartwig Henke, der Jörg W. Ziegenspeck über Jahre als pädagogischer Bera ter zur Verfügung gestanden hatte.
Eine Fülle von Aufsätzen und zahlreiche Bücher aus jenen Jahren zeugen von den profunden Erfahrungen, die bei der praktischen Arbeit gesammelt und auch theoretisch reflektiert wur den. Letztlich wurde die Erlebnispädagogik zunächst praktisch entwickelt ehe sie später wis senschaftlich fundiert werden konnte. Für diesen Perspektivwechsel musste ein neuer organi satorischer Rahmen geschaffen werden. So gründete Jörg W. Ziegenspeck 1990 das „Institut für Erlebnispädagogik e.V.“ Es steht seither einerseits in der bildungstheoretischen Tradition, erziehungswissenschaftlich wichtige Grundlagenarbeit leisten zu wollen, andererseits hebt das forschungsleitende Interesse darauf ab, gewonnene Einsichten zu anwendbaren theoretischen (Er-)Kenntnissen und daraus abzuleitende praktische Handlungsanweisungen umzuformen. 1997 beschloss der Senat der Universität Lüneburg auf Antrag des Fachbereichs I: Erzie hungswissenschaft und mit Zustimmung der Hochschulleitung, das „Institut für Erlebnispäda gogik e.V.“ (Lüneburg) als wissenschaftliche Einrichtung zu adaptieren und ihm den Status eines Instituts an der Universität zu verleihen. Damit wurden die umfangreichen Leistungen, die das Institut unter der Leitung von Jörg W. Ziegenspeck in Theorie und Praxis in den ver gangenen Jahren erbracht hatte, anerkannt und als förderlich für die Wahrnehmung der Hoch schulaufgaben angesehen. 2004 wurde diese Anerkennung verlängert und mit dem Ausschei den des Lüneburger Hochschullehrers aus dem aktiven Dienst (2009) beendet. Im Jahre 2013 legte der Lüneburger Hochschullehrer den Instituts-Vorsitz nieder und legte die Verantwortung in jüngere Hände. Damit übernahmen Menschen, die sich in der Praxis bewährt hatten und be reits unter der Anleitung des bisherigen Vorsitzenden gezeigt hatten, dass sie in der Lage sind, die erlebnispädagogische und psychomotorische Arbeit zu profilieren und auszuweiten, die erzieherisch anspruchsvolle Arbeit. Unter dem Begriff „Bewegtes Leben“ wurden für Kinder Frühförderungsprogramme entwickelt und wurde der Kinder und Jugendzirkus „Allegro“ in Lüneburg gegründet.
Außerdem fand 2013 zum dritten Mal ein „Surf und Zirkus-Camp“ in Pelzerhaken an der Ostsee statt, in dem insbesondere Kinder und Jugendlich aus sozialen Brennpunkten und mit Handicaps betreut wurden. Soziale Integration und Inklusion bilden seit Jahren die zentralen Ziele sozialer Gruppenarbeit, die von den jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Lüneburg kontinuierlich angeboten wird; wöchentlich werden hier ca. 350 Kinder und Jugendliche eingebunden unbd kontinuierlich betreut.
Kooperationspartner ist der größte Lüneburger Sportverein „Verein für Leibesübungen Lüneburg e.V.“ (VfL).6 Auch als Herausgeber der „Zeitschrift für Erlebnispädagogik“ (ZfE) und verschiedener Schriftenreihen im Verlag „edition erlebnispädagogik“ (Lüneburg) hat sich Jörg W. Ziegen speck bundesweit und international einen Namen gemacht. Die ZfE erscheint seit 1981; seit 1986 erschienen jährlich 12 Ausgaben. Im Mai 2006 erschien das 275. Heft der ZfE. Waren es anfangs eher vorsichtige Versuche, das praktisch Erfahrene zu reflektieren und öffentlich zu diskutieren, so konnte im Laufe der Jahre festgestellt werden, dass die Beiträge inhaltlich zu nehmend differenzierter wurden.
Auch das theoretische Netz konnte dichter geknüpft werden, so dass der Gedanken und Meinungsaustausch auf dem besten Wege ist, ein gemeinsames und tragfähiges wissenschaftliches Fundament im deutschsprachigen Raum zu finden. In der „edition erlebnispädagogik“ konnten bislang fast 200 Titel in acht Schriftenreihen vorgestellt werden, wobei das Spektrum von pädagogisch-biographischen Skizzen markanter Erzieher persönlichkeiten über die Diskussion ausgewählter erlebnispädagogischer Grundfragen und die Neuauflage vergriffener Titel aus der Reformpädagogik bis hin zu Fragen der Konzeption von tragfähigen Erziehungskonzepten reicht. – Die ZfE stellte mit dem 328. Heft im 30. Jahrgang (2010) ihr Erscheinen ein und vereinigte sich mit der Zeitschrift „erleben & lernen“, die im Ziel Verlag (Augsburg) erscheint; der Ziel Verlag übernahm auch den Verlag „edition erlebnispädagogik“, so dass für einen kontinuierlichen Übergang der publizistischen Breitenwirkung gesorgt werden konnte. Das Selbstverständnis als Hochschullehrer ging bei Jörg W. Ziegenspeck weit über den Rah men der Universität hinaus.
Die Hochschule hat eine gesellschaftspolitische Funktion, so dass sich der Hochschulangehörige auch den vielfältigen Herausforderungen im außeruniversitären Umfeld stellen muss. So arbeitet der Lüneburger Pädagoge seit Jahrzehnten ehren und ne benamtlich in zahlreichen verantwortlichen Positionen: u.a. ist er als Vorsitzender bzw. im Vorstand verschiedener Träger der freien Jugendhilfe tätig (z.B. „Sail Training Association Germany“ (S.T.A.G.) Bremerhaven, „Kinder und Jugendhilfe-Verbund e.V.“ Kiel, „Sozi alarbeit und Segeln e.V.“ Hamburg [beide Vereine verschmolzen 2006 zum „Verein für Kinder Jugend und Soziale Hilfen e.V.“ (Hamburg / Kiel)]; „Jugendbildungsstätte / Ju gendakademie Theodor Wuppermann e.V.“ Juist; „Segelschiff ,Thor Heyerdahl‘ e.V. Kiel; „Landerziehungsheim Schule Marienau e.V.“ Dahlem / Dahlenburg). 1987 gründete er den „Bundesverband Erlebnispädagogik e.V.“ Lüneburg, dessen langjähriger Präsident er an schließend war.
Jörg W. Ziegenspeck war als Erziehungswissenschaftler in den Beiräten zahl reicher pädagogischer Institutionen tätig (u.a. im „Bundesverband Humane Schule e.V.“ Niederkassel, in der „Deutschen Janusz Korczak-Gesellschaft e.V.“ Giessen). Auch später nach seiner Entpflichtung als Hochschullehrer in Lüneburg war er in verschiede nen Vereinen Mitglied und Ratgeber [so z.B. im ältesten Segelverein Deutschlands, der in der Geburtsstadt von Jörg W. Ziegenspeck, in Königsberg / Pr., 1855 gegründet worden war, dem „Segelclub RHE e.V.“ (Hamburg), in der „Kreuzer-Abteilung“ (KA) des „Deutschen Segler Verbands“ (DSV) und im „Trans-Ocean Verein zur Förderung des Hochseesegelns e.V. (TO)] und machte sich durch ausführliche und reich illustrierte Reiseberichte, die im ZIEL Verlag, Augsburg, und in verschiedenen Zeitschriften und Zeitungen erschienen, zusammen mit seiner Frau als Fahrtensegler einen Namen. Die kontinuierliche Verknüpfung von Theorie und Praxis, die Verbindung zwischen berufli chen und nebenberuflichen Funktionen und das nachweisbare Engagement auf sozial und er lebnispädagogischen Aufgaben und Berufsfeldern mögen das Verständnis von kultureller Ge samtverantwortung in einer sich entwickelnden Demokratie belegen, das sich bei Jörg W. Zie genspeck stets erziehungswissenschaftlich begründen und ableiten ließ und sich in schulischen7 und außerschulischen Aktivitäten konkretisierte und in vielen Projekten manifestierte. Die Mitarbeit in pädagogischen Beiräten auf Bundes und Landesebenen (z.B. in der SPD und der GEW oder in Fachverbänden) war für Jörg W. Ziegenspeck selbstverständlich.
Nach seiner Pensionierung (2006) erhielt er vom Präsidenten seiner Hochschule einen Be schäftigungsauftrag, so dass er bis 2009 mit allen Rechten und Pflichten als sog. „Senior Professor“ in Forschung und Lehre weiter tätig sein konnte. Dabei galt seine konzentrierte Aufmerksamkeit dem weiteren Erhalt des „Instituts für Erlebnispädagogik e.V.“ an der – 2007 neu benannten – „LEUPHANA Universität Lüneburg“ und einer tragfähigen Nachfolgerege lung für seine Professur. Mit der beabsichtigten Neuausrichtung der LEUPHANA kam es zu Fächerkonzentrationen in der Lehrerbildung, in deren Folge auch das „Instituts für Erlebnispä dagogik e.V.“ als langjähriges An-Institut der Universität geschlossen wurde. Dass das Institut für Erlebnispädagogik e.V. nach der Kündigung der Räume auf dem Campus bleiben konnte, verdankte es der Tatsache, dass es dort einen Gebäudekomplex gibt, der nicht von der Universitätsverwaltung bewirtschaftet wird. Dort fand man Unterkunft, so dass der direkte Kontakt zum Universitätsbetrieb zunächst erhalten blieb und die Studierenden ihren altbekannten Anlaufpunkt behielten. 2013 kündigte der neu gewählte Vorstand des Instituts die angemieteten Räume auf dem Campus aus Kostengründen.
Ein Vorstandsmitglied hatte in der Nähe von Lüneburg einen denkmalgeschützten Bauernhof mit ausreichenden Nebengebäuden erworben, so dass es sinn voll erschien, das Sekretariat nach Horndorf auf den „Hof Breitenstein“ zu verlegen. Mit dem endgültigem Ausscheiden aus dem Niedersächsischen Hochschuldienst wurde Jörg W. Ziegenspeck gebeten, eine Gast-Professur am „Baltic College“ zunächst in Güstrow, spä ter in Schwerin mit der Denomination „Freizeitwissenschaft“ anzunehmen.
Der Bitte ent sprach er, so dass er dort seit 2009 kontinuierlich lehrt, forscht und prüft. Inzwischen ist er dort auch als Leiter des Instituts für Freizeitwissenschaften tätig und in vielfältigen anderen Zusammenhängen engagiert. Dabei spielt natürlich auch eine Rolle, dass sein früherer Dokto rand, späterer Habilitand und langjähriger Mitarbeiter und Kollege, Prof. Dr. habil, Torsten Fischer, inzwischen als Pro-Rektor der „Fachhochschule des Mittelstandes“ (FHM) in der Landeshauptstadt Schwerin fungiert, die jahrzehntelange, nachweisbar sehr erfolgreiche Ko operation beider Wissenschaftler nun also ihre produktive Fortsetzung erfährt. Sehr früh hatte Jörg W. Ziegenspeck bereits versucht, künstlerische Aktivitäten in die erleb nispädagogische Arbeit zu integrieren.
Er erklärte in diesem Zusammenhang in einem Handbuchbeitrag (1996): „Hört man heute das Wort ‚Erlebnispädagogik’, so kann davon ausge gangen werden, dass primär natursportliche Aktivitäten – zu Wasser oder zu Lande, auch in der Luft – gemeint sind. Diese einseitige Ausrichtung auf „outdoor“-Aktivitäten (Outdoor Pädagogik) ist derzeit zwar Fakt, muss aber in Zukunft zugunsten von „indoor“-Aktivitäten (Indoor-Pädagogik) abgebaut werden, denn gerade auch in künstlerischen, musischen, kultu rellen und auch technischen Bereichen gibt es vielfältige erlebnispädagogische Entwicklungs und Gestaltungsmöglichkeiten.“ In der Folge wurden dann an der Universität Lüneburg zahlreiche Projekte durchgeführt, die dieser künstlerischen und kulturellen Akzentuierung der Erlebnispädagogik entsprachen. Ei nige von ihnen wurden auch dokumentiert: u.a. Studien zu Heinrich Vogeler (1993), zu Hugo Kükelhaus (1994), zu Johannes Itten (1997), zu Martin Buber (1999), zu den „Fundsachen für Nichtleser“ von Günter Grass (1999), zu „Lob des Unscheinbaren“ von Liselotte Lenz (2001),8 zum Bauhaus in Dessau und Weimar (2002), zu Leo Tolstoij (2008) und zu Alfred Lichtwark (2010). Jörg W. Ziegenspeck hat sich wiederholt selbst ebenfalls künstlerisch artikuliert und u.a. zwei serielle Arbeiten im Verlag „edition erlebnispädagogik“ (Lüneburg) vorgelegt: „Ausschnitte – Bildnerische Variationen I“ (1988) und „Ausschnitte – Bildnerische Variationen II“ (1998). Die Installation „Schwerter zu Flugscharen“ – oder: „Kasernen zu Universitäten“ entstand 2009 und stellt – in Anlehnung an jene bildnerische Entgegnung, die einst Günter Grass wähl te, um seinen literarischen Kritikern Antworten zu geben (Fundsachen für Nichtleser, 1997) – eine Botschaft mit anderen Mitteln dar, die zur vormals militärischen Nutzung der jetzigen Campusgebäude in bewusstem Kontrast steht. Sie ist gleichzeitig eine Hommage an den Dichter und Schriftsteller Wolfgang Borchert (20. Mai 1921 20. November 1947) und wurde dem Museum Lüneburg, Willy-Brandt-Straße 1, D – 21335 Lüneburg, übereignet (Archiv Nr.: Z. 2013 / 017 Museumsstiftung Lüneburg).